Die Anne fällt nicht weit vom Stamm

Montag, 5. Mai 2008

Die Anne fällt nicht weit vom Stamm

Es gab Bier. Das war gut. Und auch kein billiges. Das war noch besser.
Wir standen in der Werkstatthalle und beobachteten gerade vier Mechaniker, welche eifrig an unserem Van „Sammy“ herumschraubten. Einer hielt eine Lampe und zwei andere waren intensiv am Motor zu Gange, wobei sie ihren Blick keine Sekunde von diesem abschweifen ließen. Sie streckten bloß ihre Arme nach hinten, schrieen irgendwelche Werkzeugnamen und der vierte Kollege rannte aufgebracht von Fahrer- zur Beifahrerseite, um ihnen dann die nötigen Teile in Hand zu legen. Es sah aus, wie in einem Operationssaal. „Zange…! Schraubenschlüssel…!“ „SCHRAUBENSCHLÜSSEL…!“ Es war herrlich und gut mit anzusehen, wie so anstellig an unserem Auto gebastelt wurde.
Die Halle war ziemlich groß und gefüllt mit kaputten Autos, Unmengen an Werkzeug und verschiedensten Ersatzteilen. Zwei Hebebühnen nahmen den größten Anteil der Werkstatt ein.
Auf einer Werkbank, an der hinteren Wand, lag, neben einigen rostigen Schrauben und einer zerbrochenen Radkappe, unsere alte Zylinderkopfdichtung. Ihr hatten wir die vermutlich aufregendste Autofahrt unseres Lebens zu verdanken. Vor ungefähr zwei Monaten hatten wir sie noch, auf dem staubigen Boden Malcoms Schrottplatzes, eingebaut. Sie hielt circa drei Wochen, bevor sie uns erneut eine Werkstatt aufsuchen ließ.

Bunki-mit-Malcom Malcoms Drecksarbeit

Es war bereits dunkel. Die zwei Einfahrten der Halle waren inzwischen zugeschoben, denn die Werkstatt war eigentlich schon seit eineinhalb Stunden geschlossen.
Die Arbeiter mussten, zu unseren Gunsten, Überstunden einlegen. Das sollte aber am Preis nichts ändern.
Der Boss hatte sich zu uns gesellt und drückte mir ein zweites Bier in die Hand. Er war etwas kleiner als ich und hatte schwarze, kurze Haare. Seine Finger waren schwarz und mit Öl beschmiert. Vermutlich von der Arbeit an unserem Van, dachte ich. Er war ein freundlicher Typ. Keine Lügen, die er uns erzählte. Keine falschen Versprechungen, die er uns machte. Wir hatten einfach nicht das Gefühl, auf unehrliche Art und Weise, Geld zu verlieren.
Bei all unseren Werkstattbesuchen, fühlten wir uns hier am wohlsten. Da standen wir. An der Seite von unserem Van, jeder ein Bier in der Hand, und vier Mechaniker werkelten professionell an unserem Auto herum. Am liebsten hätte ich noch Anweisungen gegeben, ließ es aber lieber bleiben. Fred, so der Name des Bosses, ließ sich gerade ausgiebig über Malcom aus, als er mir seine Bierflasche zum Anstoßen hinhielt. Er hatte mittlerweile sein drittes Bier am Hals und wurde dadurch immer verärgerter über unseren Autoverkäufer aus Brisbane. „What a fucking guy!“, sagte er laut. „He should’ve fucking known!“. Wir schauten ihn belustigt an, denn er sprach aus, was wir seit Langem dachten. “Ah, Fuck him!” „Fuck…, fucking…, fuck, fuck…!“ Es dauerte eine Weile an. Sein Silberblick war nun sehr deutlich zu erkennen. Er konnte uns beide anschauen, ohne seinen Kopf zu drehen. Praktisch.
Es war beim besten Willen nicht mehr von der Hand zu weisen, dass wir „fucking“ Malcom und seiner „fucking“ Drecksarbeit dieses ganze „fucking“ Schlamassel zu verdanken hatten. Das bestätigte uns Fred laut. Aber wir konnten dagegen nichts mehr unternehmen, freuten uns dennoch über seine Anteilnahme.

Vogelschwarm-vor-Sonnenuntergang Sonnenuntergang mit Vogelschwarm

Auf einem Mal startete unser Motor. Einer der vier Mechaniker saß hinter dem Lenkrad und schaute nun erfreut zu uns herüber. „It’s ready, mate!“ sagte er laut. Er machte einen glücklichen Eindruck. Nicht aber wegen unseres reparierten Autos, eher wegen der Bierkiste auf der Werkbank. Er hatte nämlich noch nicht einmal ausgesprochen, als er aus dem Auto sprang und sich bereits eine Flasche aus der Kiste nahm. Sofort eilten auch die anderen drei zur hinteren Werkbank, um sich ihren Anteil am Bier zu sichern.
Wir stießen alle gemeinsam an, wobei wir uns bei ihnen erneut für die schnelle Arbeit bedankten. Eigentlich sollte das Auto mindestens zwei Tage in der Werkstatt bleiben. Sie hatten es aber an nur einem Tag erledigt. Ein großer Vorteil für uns. Somit konnten wir noch am gleichen Abend Albany verlassen. Es gab nichts mehr für uns zu tun. Außer der Erdbeerernte, und von dieser Art von Arbeit hatten wir bekanntlich schon genug, obwohl wir nicht eine einzige Beere gepflückt hatten, gab es hier im Umkreis keine weitere Beschäftigung. Aber das war überhaupt kein Problem. Denn wir hatten einen Job gefunden. Circa dreihundert Kilometer, Richtung Perth, gab es eine große Farm, welche noch Apfelpflücker suchte. Alles war schon am Telefon besprochen. Sobald wir in Manjimup, so der Name der kleinen Stadt, eintreffen würden, könnten wir sofort mit der Arbeit beginnen.
Es ging also wieder Berg auf. Das Auto war heil, wir hatten Arbeit bekommen und tranken bereits unser drittes Freibier. Wer hätte das gedacht? Wir hatten in den letzten Wochen soviel durchmachen müssen, aber nun war es überstanden. Wir konnten unsere Reise nun „sorgenfrei“ fortsetzten.
Nach dem Bier kamen wir zur Rechnung. Siebenhundert Dollar berechnete Fred. Das war alles. Zwar nicht gerade wenig für uns, aber immer noch besser als Eintausendfünfhundert.
Wir gingen in sein Büro. Ein kleiner Raum, behangen mit vielen alten Bildern von seinen Angehörigen. Es war zu erkennen, dass diese Werkstatt schon seit zig Jahrzehnten im Familienbesitz war. Wir betrachteten jedes einzelne Bild aufmerksam und schweigsam, während Fred begann, unsere Rechnung aufzustellen. Da war auch ein Bild seines Großvaters an der Wand. Der Silberblick lag eindeutig in der Familie.
Fred war nun fast fertig mit dem Beleg, hatte jedoch noch nicht mit Malcom abgeschlossen und brabbelte daher erneut vor sich hin: „Was für ein „fucking“ Typ! Dem müsste man seine „fucking“ Linzens abnehmen. Er hätte es „fucking“ besser wissen müssen!“.
Was haben die Leute hier nur andauernd mit diesem Wort „Fuck!“?“, dachten wir. Ich glaube das berühmte „F-Wort“ wird den Australiern schon von klein auf an beigebracht. Es gibt dafür keine deutsche Übersetzung, bedeutet aber wirklich nichts Gutes. Und man kann es in jedem Satz anwenden, ob als Verb, als Adjektiv oder als Substantiv: „Fuck You, you fucking Fucker!“, der wohl bekannteste Satz im englischen Sprachraum. Aber genug dazu.

Anne-am-Auto2 Wir sind wieder unterwegs

Nachdem wir unsere Schulden beglichen hatten, fuhren wir los nach Manjimup. Dieses Mal brauchten wir nicht mehr nach einhundert Kilometern stoppen, um Wasser und Öl nachzukippen. Unser Albtraum war vorüber. Wir konnten es nicht glauben. Keine Werkstätten mehr aufzusuchen, keine teuren Reparaturen zu bezahlen, dass war das Bild unserer Zukunft. Die neue Dichtung war eingebaut und selbst der Zylinderkopf war ersetzt worden. Unser Van würde uns ab sofort keine Probleme mehr bereiten.
Kurz hinter Albany suchten wir uns bereits einen Schlafplatz. Wir waren nämlich von dem Bier etwas müde geworden und hielten es für angebracht nicht weiterzufahren.
Am nächsten Morgen kamen wir dafür schneller voran, als erwartet. „Sammy“ surrte wie ein Kätzchen durch die Wälder im Süden Western Australiens. Es ist schon beeindruckend, wie unterschiedlich die Landschaft auf diesem Kontinent sein kann. Waren wir vor circa zwei Wochen noch durch ein Gebiet getuckert, in welchem man kaum einen Baum zu Gesicht bekam, schnellten wir nun durch riesige Wälder. Kein Sandstaub wehte, keine vertrockneten Gräser und Büsche, ja nicht einmal ein Sonnenstrahl drang durch das Dickicht. Es war angenehm zu fahren. Anne hat von dem leider nichts mitbekommen. Sie schlief wieder kopfnickend auf ihrem Beifahrersitz.

Plötzlich war unser Freude vorbei, circa fünfzig Kilometer vor Manjimup (gesprochen = Manschiemapp). Wieder einmal sahen wir uns mit offenen Mündern an, als wir deutlich spürten, dass mit unserem Auto etwas nicht stimmte. Wir verloren deutlich an Fahrt. Ich konnte das Gaspedal durchtreten, wie auch immer ich wollte, wir wurden langsamer. Symptome die uns nur allzu bekannt waren. „Aber wie konnte das sein? Der Zylinderkopf war doch neu!“ Die Verzweiflung war groß und wir waren anfangs nicht in der Lage zu sprechen. Das konnte alles nicht wahr sein. Wir waren am Ende.
Aber was sollten wir jetzt tun?“ Fuhren wir die fast dreihundert Kilometer zurück nach Albany, würde es nicht nur eine Ewigkeit dauern bis wir ankämen, wir könnten es auch riskieren, den aufgetretenen Schaden zu verschlimmern. Das war klar. Wir entschieden uns weiter nach Manjimup zu tuckern und erneut vor die Tore einer Werkstatt zu rollen.
Auf der restlichen Strecke tat ich nun etwas, was ich noch nie zuvor an einem unserer Autos selbst versucht hatte: Ich probierte höchstpersönlich den Schaden zu beheben. Es wäre natürlich zu schön gewesen, wenn das auch etwas gebracht hätte. Aber dem war leider nicht so. Ich konnte nichts entdecken.
Es war Annes Idee, den Motor einfach einmal von Benzin auf Gas umzustellen. Das ist nämlich eine Besonderheit unseres „superduper“ Autos. Wir können Benzin oder Gas tanken, was hier in Australien einen großen Preisunterschied darstellt.
Gesagt, getan. Ich schaltete auf Gas um, und was soll ich sagen, das Problem war verschwunden. Anne hatte uns gerettet. Dadurch konnten wir wenigstens sicherstellen, dass der Schaden nichts mit dem Zylinderkopf oder der Dichtung zu tun hatte. Als uns aber bewusst wurde, dass es eventuell etwas Teures bei der Benzinzufuhr sein könnte, wurde uns wieder einmal übel bei diesem Gedanken.
Aber vorerst hätten wir das Geld ehe nicht. Deshalb fuhren wir sofort, nach der Ankunft in Manjimup, zur Farm, füllten alle besagten Papiere aus und konnten somit schon am nächsten Morgen mit der Apfelernte beginnen.

Backpacker-bei-Apfelernte-2 Wir mit anderen Backpackern

Wir waren nicht zu spät gekommen. Die Ernte war zwar in vollem Gange, aber die Saison würde noch mindesten weitere sechs Wochen andauern. So versicherte es uns unser Boss. Das war jedenfalls mehr als wir wollten.
Die Apfelplantage war riesig und angelegt wie ein Netzwerk aus Sandstrassen und dicht bewachsenen Baumreihen. Die Bäume waren gefüllt mit Äpfeln, was unsere Augen leuchten ließ. Das bedeutete schnelles Arbeiten und somit hoffentlich einen guten Verdienst.
So schritten wir wieder einmal, mit einer Leiter über der Schulter und einer Pflücktasche vor der Brust, zu unseren ersten, zugewiesenen Baumreihen.
Es funktionierte auf dieser Farm folgendermaßen: Wir pflückten zu zweit in einer Reihe. Jeder bekam eine Leiter, einen Pflückbeutel und in diesem Falle sogar einen Traktor, auf welchem sich drei Holzkisten befanden. Die Äpfel pflückt man somit als erstes in seinen Beutel und entleert diesen vorsichtig in dem Holzcontainer. Waren die drei Kisten voll, brachte der Vorarbeiter sofort den nächsten Traktor, auf welchem sich ebenfalls drei Kisten befanden, in die Reihe, und das ganze Spiel begann von vorne. Auch wurden die Äpfel regelmäßig auf Druckstellen geprüft.
Achtundzwanzig Dollar, pro gefüllte Kiste, wurden uns als Gehalt berechnet. Füllten wir eine Kiste pro Stunde, verdienten wir folglich vierzehn Dollar pro Person. Zu wenig für uns. Aber wie schnell man seinen Behälter füllen kann hängt natürlich von verschiedenen Faktoren ab: Die Anzahl der Äpfel an den Bäumen, zum Beispiel, die Höhe der Bäume selbst, das Wetter und natürlich die eigene Verfassung sind nur Bruchteile von dem, was im Endeffekt die Bezahlung ausmacht.

Bins Holzkisten voller Granny Smith

Für uns war es jedenfalls nicht das erste Mal, dass wir zu dieser Arbeit „gezwungen“ waren. Unser erster Pflückversuch war in Neuseeland. Am Ende unseres Jahresaufenthalts war es die einzige Möglichkeit für uns gewesen, noch etwas Geld für die erste Australienreise zu verdienen.
Damals begannen wir die Arbeit noch mit dem Glauben es sei einfach. Man bräuchte doch nur die Äpfel von den Bäumen zu pflücken und verdiente angemessenes Geld. Dem war nicht so. Nach dem ersten Tag waren wir völlig erledigt. Unsere Rückenschmerzen waren nicht zu ertragen und wir hatten gerade einmal sechs dieser Holzkisten zusammen füllen können. Das war gar nichts. Wir konnten es nicht fassen. Wir hatten in den acht Arbeitsstunden nicht einmal lange Pausen eingelegt. Wir waren quasi gelaufen. Dennoch war es uns nicht möglich gewesen anständiges Geld zu verdienen. Das der Typ in der Reihe neben uns, ich glaube Glen war sein Name, acht dieser Kisten füllte, und zwar allein, hatte uns damals den Rest gegeben. Es war frustrierend gewesen.
Das ging zu jener Zeit noch einige Tage so weiter. Es wurde einfach nicht besser mit unserem Verdienst. Wir begannen Glen zu beobachten, um herauszufinden was wir falsch machten. Glen war groß, hatte kurz geschorene Haare und ein ziemlich breites Kreuz. Seine Körpergröße war sicherlich ein Vorteil und auch sah es nicht danach aus, als würde ihm die schwere Pflücktasche etwas ausmachen, trotzdem konnte das nicht der Grund seiner Schnelligkeit sein. Aber außer diesem entdeckten wir nichts. Er bewegte sich sogar noch langsamer als wir. Also was war es? Wir konnten es uns nicht erklären. Darum gingen wir auf ihn zu und baten ihn, uns einige Tipps zu geben. Er tat es nicht. Lächelnd gab er uns zu verstehen, dass er niemandem seine Technik verraten würde. Er meinte: „Je langsamer alle anderen arbeiteten, desto mehr Geld bleibt im Endeffekt für ihn, da die Ernte länger dauern würde.“ Und er verdiente, in unseren Augen, ein Vermögen. Und das durch Äpfelpflücken. Unglaublich.

Backpacker-bei-Apfelernte Arbeitsbeginn

Was sollten wir machen? Man müsste wohl sehr gut mit ihm befreundet sein, damit er einem sein Geheimnis verraten würde. Aber das wird nicht mehr passieren, so dachten wir. Wir mussten uns mit unserem Verdienst abfinden.
Am nächsten Tag waren wir alle wieder am arbeiten, als die Sprecherin aus Glens Radio gerade den Einmarsch der amerikanischen Truppen in den Irak verlautete.
Ich stand auf meiner Leiter und begann herzhaft und aufgebracht über die Amis herzuziehen. Glen arbeitete weiter. „Was für Idioten es doch seien. Alles nur wegen dem Öl. Total bekloppt sind die doch.“, sagte ich laut. Glen hörte mit der Arbeit auf. Er schaute zu mir hoch. Ich aber schrie weiter: „Wie „fucking“ dumm die doch alle seien. Wenn die ein bischen mehr „fucking“ Verstand hätten, würde es uns allen besser gehen.“. “Ihr seid aus Deutschland, nicht wahr?”, fragte er mich plötzlich. „Ja.“, antwortete ich, wobei ich mich freute, dass er sich an der Unterhaltung beteiligte. Ich fragte ihn: „Kommst Du eigentlich hier aus Neuseeland?“ „No, I’m from America.

Bunki-im-Spiegel Bunki in Heckscheibe

Glen hatte mich nicht gehauen. Auch hatte er mich nicht mit einem Apfel von der Leiter geschossen. Um ehrlich zu sein, nichts dergleichen geschah. Er war nämlich meiner Meinung gewesen. Er lebte schon zu lange im wunderschönen Neuseeland und betrachtete Amerika nun mit unterschiedlichen Augen, wie er uns erklärte.
Das Eis war gebrochen. Schon kurze Zeit später erklärte er uns seine Pflücktechnik.
Ob man es glaubt oder nicht: Schon am nächsten Tag verdoppelten wir unseren Anzahl der Kisten.

Apfelernte-in-Munjimup Apfelernte in Munjimup

Auch in Irland gingen wir schon zweimal dieser Arbeit nach. Durch den ersten Einsatz finanzierten wir uns damals das Geld für unsere Europareise. Beim zweiten Mal sparten wir uns das nötige Geld für Kanada.
Nun aber standen wir auf unseren Leitern in Australien. Bereit zur harten und eintönigen Arbeit. Und wofür? Wahrscheinlich nur, um wieder einmal eine Werkstattrechnung zu begleichen. Es war enttäuschend gewesen. Aber es gibt Schlimmeres.
Es hatte die Nacht zuvor geregnet. Dadurch war der Boden matschig und aufgeweicht und verbliebenes Regenwasser tropfte von jedem einzelnem Blatt. Pflückte man einen Apfel, lief das Wasser, trotz Regenkleidung, langsam den Arm herunter und danach sogar den Oberkörper. Das war sehr unangenehm und eine Sache, die wir von unseren vorherigen Erntearbeiten absichtlich vergessen hatten. So waren wir in kürzester Zeit bis auf die Knochen durchgeweicht.
Es hatte nicht lange gedauert bis Annes Schrei mich erreichte. Ihre Gummistiefel waren wegen des nassen Grases rutschig geworden und sie schlitterte somit in einem „Affenzahn“ von der vorletzten Sprosse ihrer Leiter. Als ich ihr zu Hilfe eilte hing sie noch im Baum. Das rechte Bein in einer Astgabel und ihr Linkes wedelte angewinkelt durch die Luft. Mit der linken Hand hatte sie etwas Halt an einem Ast gefunden, dieser war aber nicht besonders stabil. Ihr rechter Arm baumelte vor ihrem Gesicht, welches Richtung Boden blickte. Annes kraftvolles Stöhnen ließ die Anstrengung nicht verkennen, mit welcher sie mühsam versuchte, sich aus dieser akrobatischen Position zu befreien. Ich kam zu spät. Es machte nur „Flutsch“, als sich ihr rechter Fuß aus dem Stiefel löste und sie mit einem Mal zu Boden krachte. Genau neben dem Stamm.
Es war nicht ihr erster „Flugversuch“, und sollte auch nicht der Letzte gewesen sein.

Bunki-mit-Traktor Bunki auf dem Traktor

Mein letzter Sturz war in Irland.
Ich konnte damals nicht genau erkennen wo ich meine Leiter anlehnte. Der Baum war einfach zu hoch. Langsam kletterte ich hinauf. Es dauerte eine Weile, bis die ersten Äste begannen. Aber Äste waren gut, bedeuteten sie doch Sicherheit. Denn falls einem die Leiter wegrutscht, konnte man sich wenigstens noch an einem dieser festhalten.
Ich stand auf der drittletzten Stufe. Den einzigen Halt, den ich bekam, verschaffte ich mir durch meine Knie, welche ich gegen die letzte Sprosse lehnte. Ich begann zu pflücken.
Einen Augenblick später, ich stopfte gerade beidarmig die restlichen Äpfel in den Beutel, nahm ich dieses leise Knacken wahr.
Oh mein Gott.“, sagte ich hauchend. Das war nicht gut. Mein Beutel war gefüllt und somit zu schwer geworden. Da wieder, das Knacken. Ich schob mit meiner linken Hand zitternd einige Blätter zur Seite und erkannte deutlich, dass meine Leiter an nur einem einzigen Zweig anlehnte. Dünner als mein kleiner Finger drohte dieser zu brechen. Ich traute mich nicht zu bewegen. Was sollte ich tun? Ich suchte nach einem dicken Zweig oder Ast, auf welchen ich etwas Gewicht verlagern konnte. Aber ich kam nicht mehr zum Verlagern.
Kawusch!“ Es ging alles sehr schnell. Der winzige Zweig war mit einem leisen „Knicks“ gebrochen und das Gewicht meiner vollen Pflücktasche drückte mich so schnell nach unten, dass ich nicht mehr sagen kann, ob ich einmal oder zweimal aufprallte. Ich landete auf meinem Rücken, auf der Leiter. Da lag ich. Die Äpfel aus meiner Pflücktasche hatten sich im großen Umkreis verteilt. Das Atmen fiel mir anfangs schwer. Mein Gummistiefel steckte noch zwischen zwei Sprossen und mein Fuß tat mir weh, denn dieser steckte noch im Gummistiefel. Aber wenigstens konnte ich meine Füße noch spüren, dachte ich. Anne war damals bei diesem Bild in Gelächter ausgebrochen, da sie nicht wusste, dass ich zu solchen Verrenkungen in der Lage war.
Dieses Mal war ich derjenige der lachte. Denn Anne knallte fast täglich von ihrer Leiter. Wir hatten uns sogar schon darauf geeinigt, dass ich erst loslaufen bräuchte, falls nach ihrem jeweiligen Schrei kein sofortiges „Ist Ok.“ kam.
So arbeiteten wir zweieinhalb Wochen auf dieser Farm und machten uns auf nach Perth. Denn wir bekamen Besuch.

Gallah Gallah


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