Die lange Reise durchs Nichts
Es war heiß an diesem Vormittag. Etwas Wind wehte, die Sonne glühte, die Grillen zirpten und es war weit und breit kein Auto in Sicht. Wir fühlten uns allein. Da waren nur wir und die Strasse, welche sich circa zweitausend Kilometer durch das Nullarbor zog.
Die Nacht zuvor verbrachten wir an einer Raststelle kurz hinter Ceduna. Ceduna ist ein alter Walfängerort und ist mit seinen zweitausendsechshundert Einwohnern die letzte größere Stadt vor dem Nullarbor. Norseman ist die nächste. Und zwischen ihr und Ceduna, befinden sich lediglich ein paar Tankstellen. Weiter nichts.
Wir standen am linken Straßenrand und besprachen erneut alle uns verbliebenen Möglichkeiten. Aber egal wie lange wir auch unsere Situation diskutierten, es gab keine andere Lösung für uns: „Wir mussten diese enorme Strecke bewältigen.“.
Also machten wir uns auf, auf Richtung Westen.
Die Angst würde nun unser ständiger Begleiter sein, dass wussten wir genau. Dennoch wollten wir uns von ihr nicht lähmen lassen und begannen uns positive Sachen einzureden. „Wir werden es schon schaffen. Wenn wir die Temperatur im Auge behalten und somit den Motor nicht überhitzen, wird es kein weiteres Problem für uns geben. Wir kippen halt alle hundert Kilometer Wasser und Öl nach und Schwupps die Wupps sind wir im Westen. Und da ist dann alles besser. Da gibt es Arbeit und diese ist sogar noch besser bezahlt.“ Das hörte sich gut und bekannt an. Wir waren voller Hoffnung. „Ja, wir schaffen das.“ „Whoooo!“ „Das wäre doch gelacht. Wir haben schon viel Schlimmeres überstanden.“
So tuckerten wir dahin. Mit siebzig Kilometern pro Stunde, entlang an, an… ?
„Ja, an was eigentlich?“ Da waren im Grunde nur Sträucher, sonst nichts. Nicht einmal ein Baum ragte aus dem Gestrüpp hervor. Keine Farmen oder gar Weideflächen, die sonst nur allzu häufig zu sehen sind, keine Stromleitung, die parallel zur Strasse läuft oder gar ein Windrad, welches irgendeinem Brunnen diente, bloß ein Verkehrsschild deutete ab und zu auf Zivilisation hin.
Anne schlief bereits nach dem dritten Kilometer. Ihr Kopfwippen zeigte dabei wieder deutlich, dass ihr die Schläfrigkeit unangenehm war. „Kopf langsam runter und schnell wieder hoch, Kopf langsam runter und wieder hoch, Kopf langsam runter und…, naja, und so weiter.“ Es sah aus, als hätte sie jedes Mal, sobald ihr Kopf unten anlangte, eine gute Idee, welche sie mir dann augenblicklich mitteilen wollte, aber dann doch noch einmal überlegen müsste. Im Grunde war es ihr aber nicht zu verdenken, hier einzuschlafen, denn die Eintönigkeit Australiens hatte im Nullarbor vermutlich den Höhepunkt erreicht. Alles sah dort gleich aus. Und das auf einer Fläche von über zwei Dritteln Deutschlands.
Es war beängstigend zu wissen, welche Entfernung noch vor uns lag. Um es einmal mit Europa zu vergleichen, befanden wir uns am Anfang einer Strecke von, ungefähr Griechenland bis nach Spanien. Und diese mit kaputtem Zylinderkopf.
Meine Augen wanderten somit ständig vom Tacho zur Temperaturanzeige. Bloß nicht zu schnell fahren und ja nicht den Motor überhitzen. Dass wir kein Thermostat mehr im Auto haben, machte die Kontrolle etwas schwierig, aber es war ok. Wir stoppten alle einhundert bis einhundertfünfzig Kilometer, ließen den Motor abkühlen und füllten folglich das verbrauchte Kühlwasser und das Öl wieder auf.
So schleppten wir uns dahin. Kilometer für Kilometer, und Stück für Stück auf dem einzigen Weg der durch dieses Niemandsland führt.
Diese Straße stellt mit Abstand den wohl aufregendsten “Road Trip“ dar, welchen man sich hier in Australien vorstellen kann.
Bei unserem ersten Australienbesuch kamen wir aus der anderen Richtung. Schon damals löste dieser Abschnitt Australiens eine Heidenangst bei uns aus. Aber unser VW Bus war zu jener Zeit in Ordnung und wir bewältigten diesen Teil unserer Kontinentumrundung ohne erwähnenswerte Vorkommnisse.
Diesesmal war aber alles anders. Die Angst stand uns in die Gesichter geschrieben und wir wussten innerlich genau, dass diese Strecke unser finanzielles Aus sein könnte. Blieben wir im Nullarbor liegen, würde unser Australienaufenthalt ein vorzeitiges Ende finden. Die Abschleppkosten wären für uns unbezahlbar. Wir versuchten die ganze Zeit nicht darüber nachzudenken, was passieren könnte. Ständig versuchten wir uns gegenseitig Mut zu machen. Wir erzählten uns Geschichten von anderen Backpackern, die es, wie es uns erzählt wurde, viel schlimmer getroffen hatte. Viele wurden durch ihre kaputten Autos gezwungen, ihre Reise vorzeitig abzubrechen. "Aber sollte uns das auch passieren? Sollte es wirklich eintreffen, dass wir die Mitte der Westküste, unser vorläufiges Ziel, nicht erreichen können?"
Wir hatten keine Ahnung, welchen Verlauf diese Geschichte nehmen würde. Innerlich aber gaben wir die Hoffnung nicht auf.
Wir versuchten die Autofahrt auf morgens und abends zu verlegen, um den heißen Mittagstemperaturen auszuweichen und somit den Motor nicht zu überhitzten.
Zu unserem Glück jedoch sanken die Temperaturen in den letzten Tagen deutlich, was unserem Trip nur zu Gute kam. Dadurch schafften wir es tatsächlich an einigen Tagen, trotz der vielen Pausen, vierhundert Kilometer abzureisen. Dieses war natürlich ein enormes Stück in unserer Verfassung, aber alles verlief soweit ohne Vorkommnisse. Langsam aber sicher kamen wir Western Australien näher.
An den wenigen Tankstellen, an denen wir grundsätzlich neben dem Benzin auch unsere Wasservorräte auffüllten, legten wir stets eine etwas längere Pause ein. Wahrscheinlich fühlten wir uns dort einfach sicherer, denn der Anblick anderer Reisender ließ zumindest für einen kurzen Augenblick das Gefühl der Einsamkeit in uns verschwinden. Es war einfach gut zu wissen, dass wir nicht die Einzigen auf dem „Eyre Highway“, so der Name dieser Strecke, waren. Wirklich hilfreich war dieser Gedanke jedoch nicht, denn trotz des gelegentlichen Treibens an den wenigen Zapfsäulen und einiger Futter suchender Dingos, sahen diese Tankstellen aus, wie kleine „Geisterstädte“.
Umgeben von Sträuchern, staubiger Erde und einem endlosen Himmel stellten sie dennoch den einzigen Kontakt zur Zivilisation für uns dar.
Während wir also den Motor abermals abkühlen ließen, nutzten wir die Zeit, um Essen zu zubereiten und um uns zu duschen. Jedes „Roadhouse“, so nennt man hier die Tankstellen, bietet Duschen für nur zwei/drei Dollar an, was uns natürlich immer sehr gelegen kam. Auch ist es gut gelegentlich eine vernünftige Toilette benutzen zu können und nicht jedes Mal mit unserem kleinen „Kackspaten“ in die Büsche ziehen zu müssen.
Jedoch nicht immer. Es kam nämlich schon so einige Male vor, dass wir den „Hygieneort“ rückwärts wieder verlassen, und den australischen Busch vorgezogen haben. Ich weiß bis heute nicht, wie „Scheisse“ auf die Klobrille, an die Seitenwände oder gar an die Decke gelangen kann.
Ich meine: „Sitzt man nicht auf der Toilettenbrille um seine Notdurft zu verrichten? Wie also kommt die Kacke auf die Brille? Steht da ein Jemand vor dem Becken und ärgert sich dann weil er die Öffnung verfehlt hat?“
Es heißt ja, dass dieser Fehlversuch einigen Menschen aus Asien zu verdanken ist, denn diese erleichtern sich dort zu hause bekanntlich auf unterschiedliche Weise. Bei unserer Thailandreise haben wir es damals selber kennengelernt.
An den meisten Orten gab es keine Toilettenschüssel, sondern anstelle dieser, nur ein langes, flaches Becken im Boden. Man betritt folglich die Kabine mit dem Gesicht zur Wand, kniet sich hin, wobei man sich an einer Halterung vor sich festhalten kann und verrichtet sein Geschäft. Danach spült man. Entweder durch den Hebel an der Wand, der einen automatischen Spülgang verursacht oder mit der Schöpfkelle aus dem Wasserbehälter. Klingt alles etwas kompliziert und gewöhnungsbedürftig, aber es funktioniert.
Ich gebe zu, dass wir anfangs auch etwas überlegen mussten, bevor wir in der Lage waren unser Geschäft sauber und gezielt zu platzieren. Aber es ging, denn eines war logisch: „Es sieht anders aus als bei uns, also funktioniert es auch anders als bei uns.“
Was bitte schön geht folglich den asiatischen Touristen hier durch den Kopf? „Es sieht anders aus als bei uns, aber ich versuch trotzdem mal die Öffnung rückwärts zu treffen?“ Wie läuft das ab?
Hängt Bruce Lee da, mit dem Gesicht zur Wand und dem Hintern über dem Becken am Spülkasten, und drückt? „Och, wieder vorbei.“ Und benutzt er dann die Plastebrille als Katapult, um das Zeug an die Decke oder die Seitenwand zu schleudern? Es übersteigt einfach meine Vorstellungskraft.
Ok, solange er das Loch trifft, geht es mich nichts an, was dort in der Toilettenkabine vor sich geht. Aber pinkelt man nicht auch, wenn man sein großes Geschäft erledigt? Also wo läuft das hin?
Es ist zum ausflippen wenn man es eilig hat, zum „Örtchen“ rennt, die Kabinentür voller Erleichterung aufreißt und dann solch ein Bild vorgesetzt bekommt.
Einfach ekelhaft. Als ob unser “Road Trip“ durchs Niemandsland nicht schon schlimm genug wäre.
Bei dem zweiten „Roadhouse“ war aber alles bestens. Die Toilettenräume waren sauber und zitronenfrisch. Ich saß gerade auf einer der sechs Toiletten und freute mich darüber, mal wieder nicht von tausend Fliegen umgeben, mein Geschäft draußen verrichten zu müssen.
Das Schnaufen hörte ich schon entfernt. Da kam jemand, dem es hörbar schwer fiel einen Fuß vor den anderen zu setzen, was durch das Schleifgeräusch nur allzu verdeutlicht wurde. Das Keuchen wurde lauter. „Oh Mensch…“, dachte ich noch, „…da hat es aber einer eilig.“ Es hörte sich an, als habe er gerade einen dreitausend Meter Lauf hinter sich gebracht und sei jetzt außer Puste. Er war jetzt ganz dicht und es war eindeutig, er wollte „Einen Berg machen“. Ich dachte: „Ohhhhh, bitte nicht neben mir. Nicht neben mir. Nicht neben mir.“ Zu spät.
Ich saß auf einer Außenkabine, welche dem Eingang als nächstes lag. Er nahm die nächste. Vermutlich wäre für ihn jeder weitere Meter zu viel gewesen. Fünf freie Toiletten und er nimmt genau die neben mir. Ich beeilte mich, er wiederum hatte Probleme durch die Tür zu kommen. Es hörte sich schlimm an, als ob er stecken blieb und sich dabei wehtat. Ich bekam Angst und beeilte mich noch mehr.
Vorher konnte ich noch Grillen zirpen und einige Vögel zwitschern hören. Damit war jetzt Schluss.
Die Geräusche die nun folgten waren nicht menschlich. Es war ein Mix aus einer Schlacht aus dem Mittelalter und der Geburt eines Alien. Ich hatte nicht gewusst, dass ein menschlicher Körper solche Laute verursachen kann. Und diese dauerten an.
Vielleicht hatte er nicht bemerkt, dass noch jemand in der Nachbarkabine verweilt und ließ deshalb seiner Natur freien Lauf. Ich musste auf mich aufmerksam machen. Ich hustete, was ich nicht einmal vortäuschen musste. Denn mittlerweile kam auch der Geruch zu mir herüber. Aber keine Veränderung. Die Alienschlacht ging weiter. Er wusste also, dass er nicht alleine war, ließ sich aber auch nicht stören.
Ich sagte laut: „Oh my God!“. Aber Nichts. Vielleicht hatte er es auch nicht verstanden, da ich mir mit der rechten Hand bereits die Nase zuhielt und meine Stimme dadurch einen nasalen Beiklang bekam. Aber es war auch egal.
Ich hielt das Gemetzel nicht mehr aus. Ich brach ab, „reinigte“ mich und verließ im Laufschritt den Raum.
Ich lief zum Auto, füllte das Wasser und Öl auf und wir fuhren weiter. Anne wollte eigentlich noch etwas essen, bevor wir aufbrachen, aber ich bat sie noch etwas damit zu warten. Mir war im Augenblick nicht nach essen zumute. Anne war nicht glücklich, also erzählte ich ihr von dem Schrecken, welcher mir mit Gewissheit noch Albträume verursachen wird. Sie verstand und hatte danach auch nicht mehr so viel Appetit auf ihr zubereitetes Rindergeschnetzeltes.
Der Highway führte uns nun entlang an der längsten Klippenküste der Welt. Es war atemberaubend. Fast einhundert Meter hohe Klippen bilden eine sichtbare Grenze zwischen Land und dem Indischen Ozean. Und das auf einer Länge von hunderten Kilometern. An jeder möglichen Stelle stoppten wir, um den Ausblick zu genießen.
Es ist manchmal kurios auf unseren Reisen. Wir stehen dem „Aus“ so nahe und dennoch kann der Anblick einer solchen Landschaft ein derartiges Gefühl von Freiheit in uns auslösen, dass sämtliche Probleme nicht mehr existieren. Aber leider nur für einen Augenblick.
Der Wasserverbrauch von unserem Van „Sammy“ stieg in den letzten Tagen nämlich deutlich an, was uns zusätzliche Angst bereitete. Die Temperaturen waren aber weiterhin gesunken, was eine Überhitzung des Motors wiederum verringerte. Viele Tage würden wir auf diese Weise jedoch nicht mehr überstehen. Das war sicher.
Wir hatten aber mittlerweile schon fast das Ende der Strecke erreicht. Der gesamte Ablauf hatte in den letzten Tagen schon Routine angenommen. Hundert Kilometer fahren, Pause einlegen, den Motor abkühlen lassen, dann Öl und Wasser aufkippen und weiter ging es.
In den letzten zwei Tagen waren endlich wieder Bäume zu sehen. Wir waren bereits in Western Australien und nun nicht mehr weit entfernt von unserem vorläufigen Ziel.
Norseman erreichten wir nach fünf Tagen. Wir machten jedoch keine Anstalten dort lange zu verweilen. Arbeit gab es nicht und auch die Werkstattpreise waren dort mit Gewissheit noch utopisch. Also fuhren wir weiter nach Esperance.
Esperance ist ein alter Goldgräberort am Ozean und hat sich in den letzten Jahren, mit seinen circa neuntausend Seelen, zu einem kleinen, stattlichen Touristenort entwickelt. Die sagenhafte Strandlandschaft im Umkreis von Esperance ist gewiss der Auslöser des Touristenbooms.
Wir erreichten Esperance an einem Samstagmorgen. Keine Werkstatt war geöffnet. Auch war es schwer an einem Sonnabend Arbeit zu finden, da sämtliche Agenturen, sogar das Informationszentrum, geschlossen waren. Wir wussten anfangs nicht, was wir tun sollten. Sollten wir die nächsten fünfhundert Kilometer in Angriff nehmen, um Albany, den nächstliegenden, größten Ort, zu erreichen? Oder sollten wir hier ein paar Nachte verbringen, um am Montag unser Glück zu versuchen? Wir entschieden uns für die zweite Möglichkeit. So verbrachten wir die nächsten zwei Nächte in einem Nationalpark, ganz in der Nähe von Esperance.
Wir bereuten diese Entscheidung keines Falles.
So Ihr Lieben, vielen Dank wieder für Euer Interesse. Bis zum nächsten Beitrag.
Eure Anne, mit den großen… & Euer Bunki, mit dem großen…
Die Nacht zuvor verbrachten wir an einer Raststelle kurz hinter Ceduna. Ceduna ist ein alter Walfängerort und ist mit seinen zweitausendsechshundert Einwohnern die letzte größere Stadt vor dem Nullarbor. Norseman ist die nächste. Und zwischen ihr und Ceduna, befinden sich lediglich ein paar Tankstellen. Weiter nichts.
Wir standen am linken Straßenrand und besprachen erneut alle uns verbliebenen Möglichkeiten. Aber egal wie lange wir auch unsere Situation diskutierten, es gab keine andere Lösung für uns: „Wir mussten diese enorme Strecke bewältigen.“.
Also machten wir uns auf, auf Richtung Westen.
Die Angst würde nun unser ständiger Begleiter sein, dass wussten wir genau. Dennoch wollten wir uns von ihr nicht lähmen lassen und begannen uns positive Sachen einzureden. „Wir werden es schon schaffen. Wenn wir die Temperatur im Auge behalten und somit den Motor nicht überhitzen, wird es kein weiteres Problem für uns geben. Wir kippen halt alle hundert Kilometer Wasser und Öl nach und Schwupps die Wupps sind wir im Westen. Und da ist dann alles besser. Da gibt es Arbeit und diese ist sogar noch besser bezahlt.“ Das hörte sich gut und bekannt an. Wir waren voller Hoffnung. „Ja, wir schaffen das.“ „Whoooo!“ „Das wäre doch gelacht. Wir haben schon viel Schlimmeres überstanden.“
So tuckerten wir dahin. Mit siebzig Kilometern pro Stunde, entlang an, an… ?
„Ja, an was eigentlich?“ Da waren im Grunde nur Sträucher, sonst nichts. Nicht einmal ein Baum ragte aus dem Gestrüpp hervor. Keine Farmen oder gar Weideflächen, die sonst nur allzu häufig zu sehen sind, keine Stromleitung, die parallel zur Strasse läuft oder gar ein Windrad, welches irgendeinem Brunnen diente, bloß ein Verkehrsschild deutete ab und zu auf Zivilisation hin.
Anne schlief bereits nach dem dritten Kilometer. Ihr Kopfwippen zeigte dabei wieder deutlich, dass ihr die Schläfrigkeit unangenehm war. „Kopf langsam runter und schnell wieder hoch, Kopf langsam runter und wieder hoch, Kopf langsam runter und…, naja, und so weiter.“ Es sah aus, als hätte sie jedes Mal, sobald ihr Kopf unten anlangte, eine gute Idee, welche sie mir dann augenblicklich mitteilen wollte, aber dann doch noch einmal überlegen müsste. Im Grunde war es ihr aber nicht zu verdenken, hier einzuschlafen, denn die Eintönigkeit Australiens hatte im Nullarbor vermutlich den Höhepunkt erreicht. Alles sah dort gleich aus. Und das auf einer Fläche von über zwei Dritteln Deutschlands.
Es war beängstigend zu wissen, welche Entfernung noch vor uns lag. Um es einmal mit Europa zu vergleichen, befanden wir uns am Anfang einer Strecke von, ungefähr Griechenland bis nach Spanien. Und diese mit kaputtem Zylinderkopf.
Meine Augen wanderten somit ständig vom Tacho zur Temperaturanzeige. Bloß nicht zu schnell fahren und ja nicht den Motor überhitzen. Dass wir kein Thermostat mehr im Auto haben, machte die Kontrolle etwas schwierig, aber es war ok. Wir stoppten alle einhundert bis einhundertfünfzig Kilometer, ließen den Motor abkühlen und füllten folglich das verbrauchte Kühlwasser und das Öl wieder auf.
So schleppten wir uns dahin. Kilometer für Kilometer, und Stück für Stück auf dem einzigen Weg der durch dieses Niemandsland führt.
Diese Straße stellt mit Abstand den wohl aufregendsten “Road Trip“ dar, welchen man sich hier in Australien vorstellen kann.
Bei unserem ersten Australienbesuch kamen wir aus der anderen Richtung. Schon damals löste dieser Abschnitt Australiens eine Heidenangst bei uns aus. Aber unser VW Bus war zu jener Zeit in Ordnung und wir bewältigten diesen Teil unserer Kontinentumrundung ohne erwähnenswerte Vorkommnisse.
Diesesmal war aber alles anders. Die Angst stand uns in die Gesichter geschrieben und wir wussten innerlich genau, dass diese Strecke unser finanzielles Aus sein könnte. Blieben wir im Nullarbor liegen, würde unser Australienaufenthalt ein vorzeitiges Ende finden. Die Abschleppkosten wären für uns unbezahlbar. Wir versuchten die ganze Zeit nicht darüber nachzudenken, was passieren könnte. Ständig versuchten wir uns gegenseitig Mut zu machen. Wir erzählten uns Geschichten von anderen Backpackern, die es, wie es uns erzählt wurde, viel schlimmer getroffen hatte. Viele wurden durch ihre kaputten Autos gezwungen, ihre Reise vorzeitig abzubrechen. "Aber sollte uns das auch passieren? Sollte es wirklich eintreffen, dass wir die Mitte der Westküste, unser vorläufiges Ziel, nicht erreichen können?"
Wir hatten keine Ahnung, welchen Verlauf diese Geschichte nehmen würde. Innerlich aber gaben wir die Hoffnung nicht auf.
Wir versuchten die Autofahrt auf morgens und abends zu verlegen, um den heißen Mittagstemperaturen auszuweichen und somit den Motor nicht zu überhitzten.
Zu unserem Glück jedoch sanken die Temperaturen in den letzten Tagen deutlich, was unserem Trip nur zu Gute kam. Dadurch schafften wir es tatsächlich an einigen Tagen, trotz der vielen Pausen, vierhundert Kilometer abzureisen. Dieses war natürlich ein enormes Stück in unserer Verfassung, aber alles verlief soweit ohne Vorkommnisse. Langsam aber sicher kamen wir Western Australien näher.
An den wenigen Tankstellen, an denen wir grundsätzlich neben dem Benzin auch unsere Wasservorräte auffüllten, legten wir stets eine etwas längere Pause ein. Wahrscheinlich fühlten wir uns dort einfach sicherer, denn der Anblick anderer Reisender ließ zumindest für einen kurzen Augenblick das Gefühl der Einsamkeit in uns verschwinden. Es war einfach gut zu wissen, dass wir nicht die Einzigen auf dem „Eyre Highway“, so der Name dieser Strecke, waren. Wirklich hilfreich war dieser Gedanke jedoch nicht, denn trotz des gelegentlichen Treibens an den wenigen Zapfsäulen und einiger Futter suchender Dingos, sahen diese Tankstellen aus, wie kleine „Geisterstädte“.
Umgeben von Sträuchern, staubiger Erde und einem endlosen Himmel stellten sie dennoch den einzigen Kontakt zur Zivilisation für uns dar.
Während wir also den Motor abermals abkühlen ließen, nutzten wir die Zeit, um Essen zu zubereiten und um uns zu duschen. Jedes „Roadhouse“, so nennt man hier die Tankstellen, bietet Duschen für nur zwei/drei Dollar an, was uns natürlich immer sehr gelegen kam. Auch ist es gut gelegentlich eine vernünftige Toilette benutzen zu können und nicht jedes Mal mit unserem kleinen „Kackspaten“ in die Büsche ziehen zu müssen.
Jedoch nicht immer. Es kam nämlich schon so einige Male vor, dass wir den „Hygieneort“ rückwärts wieder verlassen, und den australischen Busch vorgezogen haben. Ich weiß bis heute nicht, wie „Scheisse“ auf die Klobrille, an die Seitenwände oder gar an die Decke gelangen kann.
Ich meine: „Sitzt man nicht auf der Toilettenbrille um seine Notdurft zu verrichten? Wie also kommt die Kacke auf die Brille? Steht da ein Jemand vor dem Becken und ärgert sich dann weil er die Öffnung verfehlt hat?“
Es heißt ja, dass dieser Fehlversuch einigen Menschen aus Asien zu verdanken ist, denn diese erleichtern sich dort zu hause bekanntlich auf unterschiedliche Weise. Bei unserer Thailandreise haben wir es damals selber kennengelernt.
An den meisten Orten gab es keine Toilettenschüssel, sondern anstelle dieser, nur ein langes, flaches Becken im Boden. Man betritt folglich die Kabine mit dem Gesicht zur Wand, kniet sich hin, wobei man sich an einer Halterung vor sich festhalten kann und verrichtet sein Geschäft. Danach spült man. Entweder durch den Hebel an der Wand, der einen automatischen Spülgang verursacht oder mit der Schöpfkelle aus dem Wasserbehälter. Klingt alles etwas kompliziert und gewöhnungsbedürftig, aber es funktioniert.
Ich gebe zu, dass wir anfangs auch etwas überlegen mussten, bevor wir in der Lage waren unser Geschäft sauber und gezielt zu platzieren. Aber es ging, denn eines war logisch: „Es sieht anders aus als bei uns, also funktioniert es auch anders als bei uns.“
Was bitte schön geht folglich den asiatischen Touristen hier durch den Kopf? „Es sieht anders aus als bei uns, aber ich versuch trotzdem mal die Öffnung rückwärts zu treffen?“ Wie läuft das ab?
Hängt Bruce Lee da, mit dem Gesicht zur Wand und dem Hintern über dem Becken am Spülkasten, und drückt? „Och, wieder vorbei.“ Und benutzt er dann die Plastebrille als Katapult, um das Zeug an die Decke oder die Seitenwand zu schleudern? Es übersteigt einfach meine Vorstellungskraft.
Ok, solange er das Loch trifft, geht es mich nichts an, was dort in der Toilettenkabine vor sich geht. Aber pinkelt man nicht auch, wenn man sein großes Geschäft erledigt? Also wo läuft das hin?
Es ist zum ausflippen wenn man es eilig hat, zum „Örtchen“ rennt, die Kabinentür voller Erleichterung aufreißt und dann solch ein Bild vorgesetzt bekommt.
Einfach ekelhaft. Als ob unser “Road Trip“ durchs Niemandsland nicht schon schlimm genug wäre.
Bei dem zweiten „Roadhouse“ war aber alles bestens. Die Toilettenräume waren sauber und zitronenfrisch. Ich saß gerade auf einer der sechs Toiletten und freute mich darüber, mal wieder nicht von tausend Fliegen umgeben, mein Geschäft draußen verrichten zu müssen.
Das Schnaufen hörte ich schon entfernt. Da kam jemand, dem es hörbar schwer fiel einen Fuß vor den anderen zu setzen, was durch das Schleifgeräusch nur allzu verdeutlicht wurde. Das Keuchen wurde lauter. „Oh Mensch…“, dachte ich noch, „…da hat es aber einer eilig.“ Es hörte sich an, als habe er gerade einen dreitausend Meter Lauf hinter sich gebracht und sei jetzt außer Puste. Er war jetzt ganz dicht und es war eindeutig, er wollte „Einen Berg machen“. Ich dachte: „Ohhhhh, bitte nicht neben mir. Nicht neben mir. Nicht neben mir.“ Zu spät.
Ich saß auf einer Außenkabine, welche dem Eingang als nächstes lag. Er nahm die nächste. Vermutlich wäre für ihn jeder weitere Meter zu viel gewesen. Fünf freie Toiletten und er nimmt genau die neben mir. Ich beeilte mich, er wiederum hatte Probleme durch die Tür zu kommen. Es hörte sich schlimm an, als ob er stecken blieb und sich dabei wehtat. Ich bekam Angst und beeilte mich noch mehr.
Vorher konnte ich noch Grillen zirpen und einige Vögel zwitschern hören. Damit war jetzt Schluss.
Die Geräusche die nun folgten waren nicht menschlich. Es war ein Mix aus einer Schlacht aus dem Mittelalter und der Geburt eines Alien. Ich hatte nicht gewusst, dass ein menschlicher Körper solche Laute verursachen kann. Und diese dauerten an.
Vielleicht hatte er nicht bemerkt, dass noch jemand in der Nachbarkabine verweilt und ließ deshalb seiner Natur freien Lauf. Ich musste auf mich aufmerksam machen. Ich hustete, was ich nicht einmal vortäuschen musste. Denn mittlerweile kam auch der Geruch zu mir herüber. Aber keine Veränderung. Die Alienschlacht ging weiter. Er wusste also, dass er nicht alleine war, ließ sich aber auch nicht stören.
Ich sagte laut: „Oh my God!“. Aber Nichts. Vielleicht hatte er es auch nicht verstanden, da ich mir mit der rechten Hand bereits die Nase zuhielt und meine Stimme dadurch einen nasalen Beiklang bekam. Aber es war auch egal.
Ich hielt das Gemetzel nicht mehr aus. Ich brach ab, „reinigte“ mich und verließ im Laufschritt den Raum.
Ich lief zum Auto, füllte das Wasser und Öl auf und wir fuhren weiter. Anne wollte eigentlich noch etwas essen, bevor wir aufbrachen, aber ich bat sie noch etwas damit zu warten. Mir war im Augenblick nicht nach essen zumute. Anne war nicht glücklich, also erzählte ich ihr von dem Schrecken, welcher mir mit Gewissheit noch Albträume verursachen wird. Sie verstand und hatte danach auch nicht mehr so viel Appetit auf ihr zubereitetes Rindergeschnetzeltes.
Der Highway führte uns nun entlang an der längsten Klippenküste der Welt. Es war atemberaubend. Fast einhundert Meter hohe Klippen bilden eine sichtbare Grenze zwischen Land und dem Indischen Ozean. Und das auf einer Länge von hunderten Kilometern. An jeder möglichen Stelle stoppten wir, um den Ausblick zu genießen.
Es ist manchmal kurios auf unseren Reisen. Wir stehen dem „Aus“ so nahe und dennoch kann der Anblick einer solchen Landschaft ein derartiges Gefühl von Freiheit in uns auslösen, dass sämtliche Probleme nicht mehr existieren. Aber leider nur für einen Augenblick.
Der Wasserverbrauch von unserem Van „Sammy“ stieg in den letzten Tagen nämlich deutlich an, was uns zusätzliche Angst bereitete. Die Temperaturen waren aber weiterhin gesunken, was eine Überhitzung des Motors wiederum verringerte. Viele Tage würden wir auf diese Weise jedoch nicht mehr überstehen. Das war sicher.
Wir hatten aber mittlerweile schon fast das Ende der Strecke erreicht. Der gesamte Ablauf hatte in den letzten Tagen schon Routine angenommen. Hundert Kilometer fahren, Pause einlegen, den Motor abkühlen lassen, dann Öl und Wasser aufkippen und weiter ging es.
In den letzten zwei Tagen waren endlich wieder Bäume zu sehen. Wir waren bereits in Western Australien und nun nicht mehr weit entfernt von unserem vorläufigen Ziel.
Norseman erreichten wir nach fünf Tagen. Wir machten jedoch keine Anstalten dort lange zu verweilen. Arbeit gab es nicht und auch die Werkstattpreise waren dort mit Gewissheit noch utopisch. Also fuhren wir weiter nach Esperance.
Esperance ist ein alter Goldgräberort am Ozean und hat sich in den letzten Jahren, mit seinen circa neuntausend Seelen, zu einem kleinen, stattlichen Touristenort entwickelt. Die sagenhafte Strandlandschaft im Umkreis von Esperance ist gewiss der Auslöser des Touristenbooms.
Wir erreichten Esperance an einem Samstagmorgen. Keine Werkstatt war geöffnet. Auch war es schwer an einem Sonnabend Arbeit zu finden, da sämtliche Agenturen, sogar das Informationszentrum, geschlossen waren. Wir wussten anfangs nicht, was wir tun sollten. Sollten wir die nächsten fünfhundert Kilometer in Angriff nehmen, um Albany, den nächstliegenden, größten Ort, zu erreichen? Oder sollten wir hier ein paar Nachte verbringen, um am Montag unser Glück zu versuchen? Wir entschieden uns für die zweite Möglichkeit. So verbrachten wir die nächsten zwei Nächte in einem Nationalpark, ganz in der Nähe von Esperance.
Wir bereuten diese Entscheidung keines Falles.
So Ihr Lieben, vielen Dank wieder für Euer Interesse. Bis zum nächsten Beitrag.
Eure Anne, mit den großen… & Euer Bunki, mit dem großen…
Anne_und_Bunki - 13. Apr, 09:16
Wiedererkannt!
na du??? deine alte (wahrscheinlich) in Vergessenheit geratene Berufsschulfreundin hat dich bei N3 gesehen!!!
Du hats dich ja gar nicht verändert!!!! ;.-)))
Wie gehts euch?
Kannst dich ja mal melden, sofern eure Arbeit es zulässt.
meine email: janine.kussow@ruv.de...!