Im Dorf der Verdammten
Neugierig kamen sie an unseren Van heran. Eine ungewöhnliche, aber dennoch sehr angenehme Begrüßung.
Die Dämmerung war bereits eingetreten und die Umgebung verlor demzufolge ihre Farbenprächtigkeit. Man konnte nur die Wellen hören, wie sie kraftvoll an den Felsklippen brachen. Sonst nichts. Es duftete nach Salzwasser.
Ich hatte den Motor ausgestellt, um die Anführerin unseres Empfangskomitees nicht zu verschrecken. Es war wahrscheinlich die Mutter, die ihre zwei Sprösslinge im Schlepptau an unser Auto heranführte und im nächsten Augenblick ihre Nase empor streckte, um nach etwas Essbarem zu schnüffeln.
Normaler Weise sind sie sehr scheu und halten sich grundsätzlich nicht in Menschennähe auf. In vielen Nationalparks jedoch haben sich die Kängurus bereits an die Zweibeiner gewohnt. Was für einzigartige Geschöpfe. So putzig und niedlich, so drollig und liebenswert, so bezaubernd und ulkig, aber dumm wie ein Hausschuh. Im Ernst, ich glaube das sind die dümmsten Tiere, welchen wir je begegnet sind. Selbst mein einstiges Karnickel, ich hielt es vor vielen Jahren im Schuppen meiner Oma, hatte mehr Grips als diese australischen Beuteltiere. Und mein Karnickel saß eigentlich immer nur da.
Man hört hier viele Geschichten von nächtlichen Zusammenstössen mit Kängurus. Die unzähligen, toten Tiere am Straßenrand bestätigen diese und machen deutlich, wie gefährlich Nachtfahrten hier sein können. Ich sage: „Aber das ist nicht die Schuld der Tiere.“
Uns wurden dann aber auch von Ereignissen berichtet, bei welchen sie in die Seite von fahrenden Autos sprangen. „Wie bitte, in die Seite?“ Genau. Man muss sich das so vorstellen: da befinden sich vielleicht fünf sechs Tiere Gras fressend am Straßenrand. Das Auto kommt angefahren. Eines der Kängurus schreckt auf und schnellt los. Und das erfahrungsgemäß eben auf, oder über die Straße. Die Kameraden folgen sofort. Alle springen sie aufgescheucht hintereinander weg zur anderen Seite. Bis auf das letzte Tier. Das springt in die Seite des Autos.
Ich sage dazu: „Schon etwas mehr die Schuld der Tiere.“
Nun stelle man sich einmal vor: da befanden sich vielleicht fünf sechs Tiere Gras fressend am Straßenrand. Das Auto kam angefahren. Das Auto bremste ab, da die Leute die Tiere beobachten wollten. Eines der Kängurus schreckte auf und schnellte los. Die Kameraden folgten sofort. Alle sprangen sie aufgescheucht hintereinander weg zur anderen Seite. Bis auf das letzte Tier. Das sprang in die Seite des „parkenden“ Autos. Also dazu fehlen mir die Worte und ich muss einfach sagen: „Meinem Karnickel wäre das nicht passiert.“
Wir suchten uns, nach dieser freundlichen Begrüßung, einen Schlafplatz.
Es war bereits dunkel und als wir etwas später in unsrem Bett lagen, gingen wir gedanklich noch einmal den gesamten Trip durch.
In mancher Hinsicht waren wir sehr erleichtert diese enorme Strecke hinter uns gelassen zu haben. Unser Van Sammy hatte durchgehalten. Kilometer für Kilometer brachte er uns sicher durch das Niemandsland. Fast eine Woche hatte es gedauert. Eine Woche voller Angst und Ungewissheit. Aber nun waren in Western Australien.
Wiederum aber wussten wir genau, dass ein weiteres Problem vor uns lag. Das Auto musste repariert werden. Dieses konnten wir allerdings ohne Arbeit nicht finanzieren. Das bedeutete, wir waren gezwungen eine gute Werkstatt ausfindig zu machen und gleichzeitig Arbeit zu finden. Uns war nicht wohl bei diesen Gedanken. Denn mit kaputtem Auto sämtliche Farmen abzuklappern um nach Arbeit zu suchen, klang nicht besonders viel versprechend. Aber wir mussten da durch.
Am nächsten Morgen waren unsere Sorgen plötzlich verschwunden. Zu mindestens wieder für einen Moment. Ich erwähnte bereits: „…atemberaubende Landschaften lassen wenigstens für eine kurze Weile unsere Probleme erlöschen.“
Die Strände waren ohne Zweifel mit die schönsten, welche wir in Australien je gesehen haben. Weißer Sand, türkises Wasser und das umgeben von ergreifenden Gesteinsformationen. Wir standen einfach nur da und genossen diesen Anblick. Ich hob meine Arme und streckte sie voller Freude über diesen Anblick in die Höhe. Bei unserem ersten Australienbesuch waren wir schon einmal hier. Damals regnete es aus Eimern, wodurch wir wahrscheinlich diese fantastische Landschaft nicht wahrnehmen konnten. Dieses Mal jedoch prägte sich der Anblick dauerhaft in unser Gedächtnis ein.
Zwei Tage später befanden wir uns bereits auf dem Weg nach Albany. Wir waren nicht in Esperance geblieben. Wir haben uns auch nicht nach einer Werkstatt, oder gar nach Arbeit umgesehen. Uns erschien dieser Ort einfach zu klein und zu teuer. Die wenigen Zeltplätze im Ort, waren sowohl ausgebucht als auch dermaßen überteuert, dass uns die Entscheidung, weiter nach Albany zu fahren, nicht schwer fiel.
Wir waren uns nicht so sicher, ob es die richtige Entscheidung gewesen ist. Immerhin war unser Auto kaputt und es lagen weitere fünfhundert Kilometer vor uns. Dennoch hatten wir ein gutes Gefühl bei diesem Unterfangen.
So machten wir uns auf. Das Kühlwasser war aufgefüllt, unsere Essensvorräte etwas aufgestockt und zu guter Letzt zeigte sogar unser Telefon wieder ein Signal. Was für ein beruhigendes Gefühl. Den letzten Signalbalken hatten wir vor über einer Woche, zu Beginn unserer Abenteuerfahrt durch das Nullarbor. Aber nun waren wir wenigstens wieder in der Lage, im Falle eines Falles, Hilfe anzufordern.
Der Ablauf der Fahrt war immer noch der Gleiche. Einhundert Kilometer fahren, Pause einlegen um den Motor abzukühlen, dann Wasser und Öl auffüllen und weiter ging es. So erreichten wir Albany nach einem Tag.
Als erstes statteten wir dem Informationszentrum einen Besuch ab. Eine überaus hilfsbereite Frau konnte wahrscheinlich unsere Notsituation spüren und begann sogleich Farm- und Werkstattadressen, wie auswendig gelernt, aufzuzählen. Bestimmt waren vor uns schon andere Backpacker, mit ähnlichen Problemen, hier aufgekreuzt. Wir waren jedoch sehr erleichtert über diese Hilfe, denn es klang alles sehr viel versprechend. Werkstätten gab es hier wie Sand am Meer, sowie Farmen und Packhäuser. Sämtliche Gemüsesorten werden dort in der Umgebung angebaut, was eigentlich immer genügend Arbeit versprechen kann, wie sie erwähnte. Wie sich jedoch herausstellte, ist die Erntesaison vorüber und momentan sieht es eher schlecht aus mit Arbeitsplätzen. Auch befanden sich keine Apfelplantagen im Umkreis. Wir wollten gerade in Panik verfallen, als sie wie aus der Pistole schoss: „…aber die Erdbeerenernte hat begonnen.“
Annes Augen leuchteten auf und sie grinste: „Erdbeeren eh? Ich mag Erdbeeren.“
Ich konnte deutlich in Annes Mimik erkennen, dass sie bereits gedanklich das gesamte Erdbeerenfeld leer gegessen hatte. Ich kannte diesen Gesichtsausdruck und bekam etwas Angst. Da war wieder diese Gier in ihren Augen. Wahrscheinlich würden wir, durch ihren ungebremsten Erdbeerhunger, keinen Cent verdienen, dachte ich. So nahm ich Anne bei ihren Schultern und führte sie zum Auto zurück.
„Erdbeeren sind meine Lieblingsbeeren.“ „Ja, ich weiß Annemaus.“
Die erste gewählte Telefonnummer war schon ein Volltreffer. Anne hatte sich daran gemacht, telefonisch nach Arbeit zu fragen. Eigentlich fragte sie nicht, sondern zwang den Farmer mehr oder weniger uns den Job zu geben. Die Nummern hatten wir uns zuvor aus dem Telefonbuch besorgt, und wie schon erwähnt, war die erste auch gleich ein Arbeitsversprechen.
Früh am Morgen fuhren wir auf das Grundstück. Es war ein gutes Gefühl. Nun würde es wieder nach oben gehen. Geld wird gespart und somit das Auto repariert. Hoffnungsvoll saßen wir in unserem Van. Wir waren etwas zu früh eingetroffen und mussten deshalb auf die restlichen Arbeiter warten. Wir parkten genau vor dem Packhaus. Dahinter befanden sich vermutlich die Erdbeerfelder. Das gesamte und ansonsten ziemlich große Gelände war vollständig von Wald umgeben. Vogelgesang war das einzige Geräusch, welches wir wahrnahmen. Alles wirkte sehr friedlich.
Plötzlich prasselten die ersten Regentropfen auf unsere Frontscheibe. Der Riss in ihr hatte sich inzwischen nicht nur von oben nach unten ausgedehnt, sondern auch von der Fahrer- bis zur Beifahrerseite. Die Scheibe war somit in vier Felder aufgeteilt. Zwei weitere, diagonale Risse bahnten sich mittlerweile ihren Weg. Es sah aus, als würde ein Sternenmuster geformt. Der Regen wurde nun heftiger und der Riss war derweil, vor lauter Tropfen, nicht mehr zu erkennen.
Ein Bus fuhr vor. Es war der Arbeitertransport mit ungefähr zehn/fünfzehn Seelen an Bord. Ausdruckslos schauten einige von ihnen in unsere Richtung. Diese Leere in ihren Augen war eigenartig. Anne und ich sahen uns fragend an. Sie stiegen nacheinander aus. Nichts sagend. Zum größten Teil waren es junge Leute. Darunter einige Asiaten und vermutlich einige Europäer. Vielleicht Backpacker? Wir konnten es nicht sagen. Der Rest der Truppe bestand möglicherweise aus Australiern.
Langsam und still gingen sie in das Packhaus. Sie wirkten müde und verlassen. Wir folgten ihnen. Es war dunkel in dieser Halle, aber niemanden schien das zu kümmern.
Links konnten wir einen kleinen Raum erkennen. Es war wahrscheinlich so eine Art von Büro. In der Mitte der Halle waren viele Tische aneinander gereiht. Sie dienten unverkennbar als Packtische. Hinter diesen stapelten sich unzählige tablettförmige Körbe zum Pflücken der Erdbeeren. Einige der Arbeiter zogen sich dreckige, zum Teil zerrissene Regensachen über. Das war nicht gut. Wir hatten gehofft, die Erdbeerfelder wären überdacht. Aber der Anblick dieser Regensachen deutete nun aufs Gegenteil. Wir standen neben dem Eingang und beobachteten stumm dieses lautlose Treiben. Ein Husten übertönte die Stille. Danach wieder Schweigen. Diese traurigen Gesichter versprachen nichts Gutes. Wir grüssten einige von ihnen mit einem kurzen Kopfnicken. Nichts, keine Antwort. Wir versuchten unser Begrüßungskopfnicken mit einem Lächeln zu kombinieren, aber ohne Erfolg. „Oh mein Gott, wo sind wir denn hier gelandet?“, fragte mich Anne leise. „Ich hab keine Ahnung.“, gab ich flüsternd zurück. Aber innerlich wussten wir es beide: Wir befanden uns im Dorf der Verdammten.
Ahnungslose Asiaten, die durch ihre wenigen Sprachkenntnisse zu dieser Arbeit gezwungen waren, junge europäische Backpacker, die wahrscheinlich vor wenigen Wochen noch ihr Reiseleben irrsinnig genossen hatten oder aussichtslose Australier, hatten nun an diesem Ort ihre Seelen verloren. Sie waren zu dieser Arbeit verdammt. Es gab kein Ausweg mehr für sie.
Ein kleiner, dicker Typ kam nun aus dem Büroersatz geschlichen. Er bahnte sich seinen Weg elegant zwischen den umherirrenden Erdbeerpflückern und kam auf uns zu. Er war ein Kopf kleiner als Anne, hatte lange Haare und sein Gesicht war weiß und mit einigen Ringen in der rechten Augenbraue, in den Ohren und in der Nase durchstochen. „Cool.“, dachte ich. Endlich mal ein Boss nach meinem Geschmack. Aber der Typ war dermaßen stoned, dass er nicht einmal ein „Hallo“, geschweige denn ein „Good morning.“, herausbrachte. Wir standen nur da. Er guckte uns an und wir ihn. Eine Unterhaltung mit ihm war in seinem Zustand wirklich nicht möglich. Aber wir versuchten es trotzdem: „We called yesterday.“ „Yep.“ „We wanna start working today.“ „Yep.“ „Arbeiten wir draußen?“ „Jap.“ „Habt ihr hier Regensachen für uns?“ „Nö.“ Oh man, dass könnte eine Weile dauern. Er sah uns durch seine dunkelroten Schlitzaugen an und grinste vor sich hin. Alles in Allem der einzige von den Arbeitern der grinste. Ich musste nun auch schon grinsen, denn Cheech machte den Eindruck, als ob er sogleich mit dem Kopf auf einen der Packtische ballern würde. Ob der Typ sich jeden morgen, vor dem großen Pflückeinsatz, so zuknallt? Ohne Zweifel. Er hatte somit wahrscheinlich einen Weg entdeckt, diese Art von Arbeit für sich erträglich zu machen. Es sah aber nicht danach aus, dass er sein Geheimnis mit seinen Angestellten teilte, denn diese irrten weiterhin ausdruckslos durch die Halle.
Ohne es zwischen uns abzusprechen, hatten wir eine Entscheidung getroffen. Wir brauchten uns nicht einmal anzuschauen. Ich nahm Annes Hand und wir gingen langsam und rückwärts Richtung Ausgang. „Ok, wir fahren nur mal eben los, um uns Regensachen zu besorgen. Wir sind dann gleich wieder da.“, sagte ich noch, wobei ich meine rechte Hand etwas hob und eine beruhigende Geste täuschte. Er grinste unverändert vor sich hin. „Yep.“
Keine zehn Sekunden später saßen wir im Auto und verließen bereits das Erdbeerdorf.
Ohne Zweifel hatten wir die richtige Entscheidung getroffen. Es ist zwar ziemlich dumm, in unserer Lage, einen Job abzulehnen, aber wir wollten unsere Seelen behalten.
Wir lachten bereits über den kleinen, dicken Kiffer, als wir nach Albany zurückkehrten. Mit der Erdbeerenernte hatten wir aufgegeben. Annes Erdbeerappetit war so oder so verblasst. Noch hatten wir etwas Geld um nach anderer Arbeit Ausschau zu halten. Es war uns zwar etwas unwohl, in unserer finanziellen Verfassung Arbeit abzulehnen, aber noch waren wir nicht gebrochen. Wir wollten uns erst einmal um unser zweites Problem kümmern.
Vor der uns empfohlenen Werkstatt machten wir Halt. Da waren wir wieder: Am Rande des Abgrundes, vor den Toren der Hölle, am Eingang einer Autowerkstatt.
Nichts kam uns in den letzten Monaten schlimmer vor, als ein Aufsuchen eines Mechanikers. Wahrscheinlich sitzen sie gerade alle an einem Fenster und beobachten uns Backpacker, mit bereits Dollarzeichen in den Augen. „Harharhar….fremde, junge, ahnungslose Reisende aus dem Ausland. Ein gefundenes Fressen. Harharhar…!“ Uns war angst und bange. Wir wussten zwar, welcher Betrag auf uns zukommen würde, aber kostet die Reparatur hier, in Western Australien, auch Eintausendfünfhundert Dollar? Vielleicht wird es sogar teurer?
Meine Knie zitterten, als ich in die Werkhalle trat. Anne blieb am Auto. Der Boss der Firma kam sogleich auf mich zu. Er hatte einen kleinen Silberblick, machte aber ansonsten einen recht freundlichen und vor allem ehrlichen Eindruck. Das war gut. Ich erklärte ihm unser Problem. Er sagte mir dass er bereit wäre die Reparatur zu übernehmen. „Natürlich will er das. Er kann uns dabei doch so richtig über den Tisch ziehen.“, dachte ich noch. Nach der Frage zum Preis, kam keine Antwort. Er überlegte. Ich schwitzte.
Er überlegte noch etwas, der Schweiß bildete inzwischen Flecken in meinem Shirt, sagte dann aber selbstbewusst: „Siebenhundertfünfzig Dollar.“. Meine Knie drohten nun nachzugeben. Ich konnte es nicht fassen. Das war die Hälfte von dem, was uns vor dem Nullarbor gesagt wurde. Es war unglaublich. Ich ließ mir den Preis noch ungefähr viermal bestätigen, wobei sich sogar heraus stellte, dass es höchstens siebenhundertfünfzig Dollar werden können. Das bedeutete, da gab es eine Chance, wir bräuchten vielleicht sogar noch weniger zu bezahlen. Ich machte einen Termin ab und eilte zu Anne.
Sie freute sich riesig über diesen Preis. Auch dieser Mechaniker hat bestimmt gedacht, wir haben einen zu laufen. Er knallt uns so einen heftigen Preis an den Kopf und wir fangen beinahe an zu tanzen. Aber uns war das egal. Zwei Tage später sollte unser Elend vorüber sein.
Und diese zwei Tage verbrachten wir am Wasser. Die Schönheit der Strände war dort unten im Süden noch nicht verblasst. Auch die Umgebung von Albany ließ nichts zu wünschen übrig.
So saßen wir vor unserem Van, an dieser fantastischen, kleinen Bucht und beobachteten fast täglich Delphine. Ansonsten versuchte ich, so oft es ging, uns ein Abendessen zu fangen und Anne versuchte weiterhin einen Job für uns zu ergattern.
Das Schöne dabei: „Wir waren beide erfolgreich!“.
Bunki mit Riesenfisch
Dichter traute ich mich nicht an diese Schlange heran
Ihr Lieben, vielen Dank wieder für Euer Interesse. Bis zum nächsten Beitrag.
Eure Anne, mit den großen Füssen & Euer Bunki, mit dem großen Kopf
Die Dämmerung war bereits eingetreten und die Umgebung verlor demzufolge ihre Farbenprächtigkeit. Man konnte nur die Wellen hören, wie sie kraftvoll an den Felsklippen brachen. Sonst nichts. Es duftete nach Salzwasser.
Ich hatte den Motor ausgestellt, um die Anführerin unseres Empfangskomitees nicht zu verschrecken. Es war wahrscheinlich die Mutter, die ihre zwei Sprösslinge im Schlepptau an unser Auto heranführte und im nächsten Augenblick ihre Nase empor streckte, um nach etwas Essbarem zu schnüffeln.
Normaler Weise sind sie sehr scheu und halten sich grundsätzlich nicht in Menschennähe auf. In vielen Nationalparks jedoch haben sich die Kängurus bereits an die Zweibeiner gewohnt. Was für einzigartige Geschöpfe. So putzig und niedlich, so drollig und liebenswert, so bezaubernd und ulkig, aber dumm wie ein Hausschuh. Im Ernst, ich glaube das sind die dümmsten Tiere, welchen wir je begegnet sind. Selbst mein einstiges Karnickel, ich hielt es vor vielen Jahren im Schuppen meiner Oma, hatte mehr Grips als diese australischen Beuteltiere. Und mein Karnickel saß eigentlich immer nur da.
Man hört hier viele Geschichten von nächtlichen Zusammenstössen mit Kängurus. Die unzähligen, toten Tiere am Straßenrand bestätigen diese und machen deutlich, wie gefährlich Nachtfahrten hier sein können. Ich sage: „Aber das ist nicht die Schuld der Tiere.“
Uns wurden dann aber auch von Ereignissen berichtet, bei welchen sie in die Seite von fahrenden Autos sprangen. „Wie bitte, in die Seite?“ Genau. Man muss sich das so vorstellen: da befinden sich vielleicht fünf sechs Tiere Gras fressend am Straßenrand. Das Auto kommt angefahren. Eines der Kängurus schreckt auf und schnellt los. Und das erfahrungsgemäß eben auf, oder über die Straße. Die Kameraden folgen sofort. Alle springen sie aufgescheucht hintereinander weg zur anderen Seite. Bis auf das letzte Tier. Das springt in die Seite des Autos.
Ich sage dazu: „Schon etwas mehr die Schuld der Tiere.“
Nun stelle man sich einmal vor: da befanden sich vielleicht fünf sechs Tiere Gras fressend am Straßenrand. Das Auto kam angefahren. Das Auto bremste ab, da die Leute die Tiere beobachten wollten. Eines der Kängurus schreckte auf und schnellte los. Die Kameraden folgten sofort. Alle sprangen sie aufgescheucht hintereinander weg zur anderen Seite. Bis auf das letzte Tier. Das sprang in die Seite des „parkenden“ Autos. Also dazu fehlen mir die Worte und ich muss einfach sagen: „Meinem Karnickel wäre das nicht passiert.“
Wir suchten uns, nach dieser freundlichen Begrüßung, einen Schlafplatz.
Es war bereits dunkel und als wir etwas später in unsrem Bett lagen, gingen wir gedanklich noch einmal den gesamten Trip durch.
In mancher Hinsicht waren wir sehr erleichtert diese enorme Strecke hinter uns gelassen zu haben. Unser Van Sammy hatte durchgehalten. Kilometer für Kilometer brachte er uns sicher durch das Niemandsland. Fast eine Woche hatte es gedauert. Eine Woche voller Angst und Ungewissheit. Aber nun waren in Western Australien.
Wiederum aber wussten wir genau, dass ein weiteres Problem vor uns lag. Das Auto musste repariert werden. Dieses konnten wir allerdings ohne Arbeit nicht finanzieren. Das bedeutete, wir waren gezwungen eine gute Werkstatt ausfindig zu machen und gleichzeitig Arbeit zu finden. Uns war nicht wohl bei diesen Gedanken. Denn mit kaputtem Auto sämtliche Farmen abzuklappern um nach Arbeit zu suchen, klang nicht besonders viel versprechend. Aber wir mussten da durch.
Am nächsten Morgen waren unsere Sorgen plötzlich verschwunden. Zu mindestens wieder für einen Moment. Ich erwähnte bereits: „…atemberaubende Landschaften lassen wenigstens für eine kurze Weile unsere Probleme erlöschen.“
Die Strände waren ohne Zweifel mit die schönsten, welche wir in Australien je gesehen haben. Weißer Sand, türkises Wasser und das umgeben von ergreifenden Gesteinsformationen. Wir standen einfach nur da und genossen diesen Anblick. Ich hob meine Arme und streckte sie voller Freude über diesen Anblick in die Höhe. Bei unserem ersten Australienbesuch waren wir schon einmal hier. Damals regnete es aus Eimern, wodurch wir wahrscheinlich diese fantastische Landschaft nicht wahrnehmen konnten. Dieses Mal jedoch prägte sich der Anblick dauerhaft in unser Gedächtnis ein.
Zwei Tage später befanden wir uns bereits auf dem Weg nach Albany. Wir waren nicht in Esperance geblieben. Wir haben uns auch nicht nach einer Werkstatt, oder gar nach Arbeit umgesehen. Uns erschien dieser Ort einfach zu klein und zu teuer. Die wenigen Zeltplätze im Ort, waren sowohl ausgebucht als auch dermaßen überteuert, dass uns die Entscheidung, weiter nach Albany zu fahren, nicht schwer fiel.
Wir waren uns nicht so sicher, ob es die richtige Entscheidung gewesen ist. Immerhin war unser Auto kaputt und es lagen weitere fünfhundert Kilometer vor uns. Dennoch hatten wir ein gutes Gefühl bei diesem Unterfangen.
So machten wir uns auf. Das Kühlwasser war aufgefüllt, unsere Essensvorräte etwas aufgestockt und zu guter Letzt zeigte sogar unser Telefon wieder ein Signal. Was für ein beruhigendes Gefühl. Den letzten Signalbalken hatten wir vor über einer Woche, zu Beginn unserer Abenteuerfahrt durch das Nullarbor. Aber nun waren wir wenigstens wieder in der Lage, im Falle eines Falles, Hilfe anzufordern.
Der Ablauf der Fahrt war immer noch der Gleiche. Einhundert Kilometer fahren, Pause einlegen um den Motor abzukühlen, dann Wasser und Öl auffüllen und weiter ging es. So erreichten wir Albany nach einem Tag.
Als erstes statteten wir dem Informationszentrum einen Besuch ab. Eine überaus hilfsbereite Frau konnte wahrscheinlich unsere Notsituation spüren und begann sogleich Farm- und Werkstattadressen, wie auswendig gelernt, aufzuzählen. Bestimmt waren vor uns schon andere Backpacker, mit ähnlichen Problemen, hier aufgekreuzt. Wir waren jedoch sehr erleichtert über diese Hilfe, denn es klang alles sehr viel versprechend. Werkstätten gab es hier wie Sand am Meer, sowie Farmen und Packhäuser. Sämtliche Gemüsesorten werden dort in der Umgebung angebaut, was eigentlich immer genügend Arbeit versprechen kann, wie sie erwähnte. Wie sich jedoch herausstellte, ist die Erntesaison vorüber und momentan sieht es eher schlecht aus mit Arbeitsplätzen. Auch befanden sich keine Apfelplantagen im Umkreis. Wir wollten gerade in Panik verfallen, als sie wie aus der Pistole schoss: „…aber die Erdbeerenernte hat begonnen.“
Annes Augen leuchteten auf und sie grinste: „Erdbeeren eh? Ich mag Erdbeeren.“
Ich konnte deutlich in Annes Mimik erkennen, dass sie bereits gedanklich das gesamte Erdbeerenfeld leer gegessen hatte. Ich kannte diesen Gesichtsausdruck und bekam etwas Angst. Da war wieder diese Gier in ihren Augen. Wahrscheinlich würden wir, durch ihren ungebremsten Erdbeerhunger, keinen Cent verdienen, dachte ich. So nahm ich Anne bei ihren Schultern und führte sie zum Auto zurück.
„Erdbeeren sind meine Lieblingsbeeren.“ „Ja, ich weiß Annemaus.“
Die erste gewählte Telefonnummer war schon ein Volltreffer. Anne hatte sich daran gemacht, telefonisch nach Arbeit zu fragen. Eigentlich fragte sie nicht, sondern zwang den Farmer mehr oder weniger uns den Job zu geben. Die Nummern hatten wir uns zuvor aus dem Telefonbuch besorgt, und wie schon erwähnt, war die erste auch gleich ein Arbeitsversprechen.
Früh am Morgen fuhren wir auf das Grundstück. Es war ein gutes Gefühl. Nun würde es wieder nach oben gehen. Geld wird gespart und somit das Auto repariert. Hoffnungsvoll saßen wir in unserem Van. Wir waren etwas zu früh eingetroffen und mussten deshalb auf die restlichen Arbeiter warten. Wir parkten genau vor dem Packhaus. Dahinter befanden sich vermutlich die Erdbeerfelder. Das gesamte und ansonsten ziemlich große Gelände war vollständig von Wald umgeben. Vogelgesang war das einzige Geräusch, welches wir wahrnahmen. Alles wirkte sehr friedlich.
Plötzlich prasselten die ersten Regentropfen auf unsere Frontscheibe. Der Riss in ihr hatte sich inzwischen nicht nur von oben nach unten ausgedehnt, sondern auch von der Fahrer- bis zur Beifahrerseite. Die Scheibe war somit in vier Felder aufgeteilt. Zwei weitere, diagonale Risse bahnten sich mittlerweile ihren Weg. Es sah aus, als würde ein Sternenmuster geformt. Der Regen wurde nun heftiger und der Riss war derweil, vor lauter Tropfen, nicht mehr zu erkennen.
Ein Bus fuhr vor. Es war der Arbeitertransport mit ungefähr zehn/fünfzehn Seelen an Bord. Ausdruckslos schauten einige von ihnen in unsere Richtung. Diese Leere in ihren Augen war eigenartig. Anne und ich sahen uns fragend an. Sie stiegen nacheinander aus. Nichts sagend. Zum größten Teil waren es junge Leute. Darunter einige Asiaten und vermutlich einige Europäer. Vielleicht Backpacker? Wir konnten es nicht sagen. Der Rest der Truppe bestand möglicherweise aus Australiern.
Langsam und still gingen sie in das Packhaus. Sie wirkten müde und verlassen. Wir folgten ihnen. Es war dunkel in dieser Halle, aber niemanden schien das zu kümmern.
Links konnten wir einen kleinen Raum erkennen. Es war wahrscheinlich so eine Art von Büro. In der Mitte der Halle waren viele Tische aneinander gereiht. Sie dienten unverkennbar als Packtische. Hinter diesen stapelten sich unzählige tablettförmige Körbe zum Pflücken der Erdbeeren. Einige der Arbeiter zogen sich dreckige, zum Teil zerrissene Regensachen über. Das war nicht gut. Wir hatten gehofft, die Erdbeerfelder wären überdacht. Aber der Anblick dieser Regensachen deutete nun aufs Gegenteil. Wir standen neben dem Eingang und beobachteten stumm dieses lautlose Treiben. Ein Husten übertönte die Stille. Danach wieder Schweigen. Diese traurigen Gesichter versprachen nichts Gutes. Wir grüssten einige von ihnen mit einem kurzen Kopfnicken. Nichts, keine Antwort. Wir versuchten unser Begrüßungskopfnicken mit einem Lächeln zu kombinieren, aber ohne Erfolg. „Oh mein Gott, wo sind wir denn hier gelandet?“, fragte mich Anne leise. „Ich hab keine Ahnung.“, gab ich flüsternd zurück. Aber innerlich wussten wir es beide: Wir befanden uns im Dorf der Verdammten.
Ahnungslose Asiaten, die durch ihre wenigen Sprachkenntnisse zu dieser Arbeit gezwungen waren, junge europäische Backpacker, die wahrscheinlich vor wenigen Wochen noch ihr Reiseleben irrsinnig genossen hatten oder aussichtslose Australier, hatten nun an diesem Ort ihre Seelen verloren. Sie waren zu dieser Arbeit verdammt. Es gab kein Ausweg mehr für sie.
Ein kleiner, dicker Typ kam nun aus dem Büroersatz geschlichen. Er bahnte sich seinen Weg elegant zwischen den umherirrenden Erdbeerpflückern und kam auf uns zu. Er war ein Kopf kleiner als Anne, hatte lange Haare und sein Gesicht war weiß und mit einigen Ringen in der rechten Augenbraue, in den Ohren und in der Nase durchstochen. „Cool.“, dachte ich. Endlich mal ein Boss nach meinem Geschmack. Aber der Typ war dermaßen stoned, dass er nicht einmal ein „Hallo“, geschweige denn ein „Good morning.“, herausbrachte. Wir standen nur da. Er guckte uns an und wir ihn. Eine Unterhaltung mit ihm war in seinem Zustand wirklich nicht möglich. Aber wir versuchten es trotzdem: „We called yesterday.“ „Yep.“ „We wanna start working today.“ „Yep.“ „Arbeiten wir draußen?“ „Jap.“ „Habt ihr hier Regensachen für uns?“ „Nö.“ Oh man, dass könnte eine Weile dauern. Er sah uns durch seine dunkelroten Schlitzaugen an und grinste vor sich hin. Alles in Allem der einzige von den Arbeitern der grinste. Ich musste nun auch schon grinsen, denn Cheech machte den Eindruck, als ob er sogleich mit dem Kopf auf einen der Packtische ballern würde. Ob der Typ sich jeden morgen, vor dem großen Pflückeinsatz, so zuknallt? Ohne Zweifel. Er hatte somit wahrscheinlich einen Weg entdeckt, diese Art von Arbeit für sich erträglich zu machen. Es sah aber nicht danach aus, dass er sein Geheimnis mit seinen Angestellten teilte, denn diese irrten weiterhin ausdruckslos durch die Halle.
Ohne es zwischen uns abzusprechen, hatten wir eine Entscheidung getroffen. Wir brauchten uns nicht einmal anzuschauen. Ich nahm Annes Hand und wir gingen langsam und rückwärts Richtung Ausgang. „Ok, wir fahren nur mal eben los, um uns Regensachen zu besorgen. Wir sind dann gleich wieder da.“, sagte ich noch, wobei ich meine rechte Hand etwas hob und eine beruhigende Geste täuschte. Er grinste unverändert vor sich hin. „Yep.“
Keine zehn Sekunden später saßen wir im Auto und verließen bereits das Erdbeerdorf.
Ohne Zweifel hatten wir die richtige Entscheidung getroffen. Es ist zwar ziemlich dumm, in unserer Lage, einen Job abzulehnen, aber wir wollten unsere Seelen behalten.
Wir lachten bereits über den kleinen, dicken Kiffer, als wir nach Albany zurückkehrten. Mit der Erdbeerenernte hatten wir aufgegeben. Annes Erdbeerappetit war so oder so verblasst. Noch hatten wir etwas Geld um nach anderer Arbeit Ausschau zu halten. Es war uns zwar etwas unwohl, in unserer finanziellen Verfassung Arbeit abzulehnen, aber noch waren wir nicht gebrochen. Wir wollten uns erst einmal um unser zweites Problem kümmern.
Vor der uns empfohlenen Werkstatt machten wir Halt. Da waren wir wieder: Am Rande des Abgrundes, vor den Toren der Hölle, am Eingang einer Autowerkstatt.
Nichts kam uns in den letzten Monaten schlimmer vor, als ein Aufsuchen eines Mechanikers. Wahrscheinlich sitzen sie gerade alle an einem Fenster und beobachten uns Backpacker, mit bereits Dollarzeichen in den Augen. „Harharhar….fremde, junge, ahnungslose Reisende aus dem Ausland. Ein gefundenes Fressen. Harharhar…!“ Uns war angst und bange. Wir wussten zwar, welcher Betrag auf uns zukommen würde, aber kostet die Reparatur hier, in Western Australien, auch Eintausendfünfhundert Dollar? Vielleicht wird es sogar teurer?
Meine Knie zitterten, als ich in die Werkhalle trat. Anne blieb am Auto. Der Boss der Firma kam sogleich auf mich zu. Er hatte einen kleinen Silberblick, machte aber ansonsten einen recht freundlichen und vor allem ehrlichen Eindruck. Das war gut. Ich erklärte ihm unser Problem. Er sagte mir dass er bereit wäre die Reparatur zu übernehmen. „Natürlich will er das. Er kann uns dabei doch so richtig über den Tisch ziehen.“, dachte ich noch. Nach der Frage zum Preis, kam keine Antwort. Er überlegte. Ich schwitzte.
Er überlegte noch etwas, der Schweiß bildete inzwischen Flecken in meinem Shirt, sagte dann aber selbstbewusst: „Siebenhundertfünfzig Dollar.“. Meine Knie drohten nun nachzugeben. Ich konnte es nicht fassen. Das war die Hälfte von dem, was uns vor dem Nullarbor gesagt wurde. Es war unglaublich. Ich ließ mir den Preis noch ungefähr viermal bestätigen, wobei sich sogar heraus stellte, dass es höchstens siebenhundertfünfzig Dollar werden können. Das bedeutete, da gab es eine Chance, wir bräuchten vielleicht sogar noch weniger zu bezahlen. Ich machte einen Termin ab und eilte zu Anne.
Sie freute sich riesig über diesen Preis. Auch dieser Mechaniker hat bestimmt gedacht, wir haben einen zu laufen. Er knallt uns so einen heftigen Preis an den Kopf und wir fangen beinahe an zu tanzen. Aber uns war das egal. Zwei Tage später sollte unser Elend vorüber sein.
Und diese zwei Tage verbrachten wir am Wasser. Die Schönheit der Strände war dort unten im Süden noch nicht verblasst. Auch die Umgebung von Albany ließ nichts zu wünschen übrig.
So saßen wir vor unserem Van, an dieser fantastischen, kleinen Bucht und beobachteten fast täglich Delphine. Ansonsten versuchte ich, so oft es ging, uns ein Abendessen zu fangen und Anne versuchte weiterhin einen Job für uns zu ergattern.
Das Schöne dabei: „Wir waren beide erfolgreich!“.
Bunki mit Riesenfisch
Dichter traute ich mich nicht an diese Schlange heran
Ihr Lieben, vielen Dank wieder für Euer Interesse. Bis zum nächsten Beitrag.
Eure Anne, mit den großen Füssen & Euer Bunki, mit dem großen Kopf
Anne_und_Bunki - 23. Apr, 06:42